Getippt auf einem Rechner eines US-Großkonzerns, der Seitenquelltext auf einer zentralen Plattform und am Ende ausgeliefert von Amazon Web Services (AWS). So oder ähnlich präsentiert sich das Internet in der heutigen Zeit. Monopolistisch, zentralisiert und nicht mehr autonom, bunt und kreativ.
Tim Rauhut
Als ich anfing mich für das Internet zu interessieren, war es meine erste Aufgabe, eine eigene Webpräsenz aufzubauen.
Dazu gehörte der Kauf einer eigenen Domain. Anschließend wurde mit viel
Schweiß und Tränen ein Server eingerichtet. Zum Schluss gestaltete man seine Startseite mit etwas
Text und noch mehr gif-Dateien und publizierte das Meisterwerk. Leider wurde niemand auf die Seite aufmerksam.
Brauchbare Suchmaschinen waren zu dieser Zeit noch Mangelware.
Also schloss man sich mit anderen Webseiten-BetreiberInnen zusammen und verlinkte sich gegenseitig.
Einige dieser Relikte sieht man heute noch auf Webseiten unter dem Begriff Blogroll.
Sobald neue Inhalte erschienen, wollten LeserInnen automatisch und unaufdringlich informiert werden.
Dazu wurde die Rich Site Summary (RSS) genutzt.
Diese versteckte sich dezent hinter einem Link und war nicht die erste Meldung, die einem auf einer Webseite begrüßte.
Das sympathische an den damaligen Blogs, sie wurden meist selbst betrieben und waren daher dezentral. Der Inhalt
liebevoll und, ja, ganz ohne Werbung gestaltet. Der Nachteil, besonders für NeueinsteigerInnen, war die Hürde
eine eigene Webseite zu betreiben nicht gerade gering. Es war zeitaufwendig Inhalte zu publizieren. Dies sind nur ein paar Gründe für
den Erfolg von zentralistischen Plattformen à la Myspace, Twitter, Medium und Co..
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Betreiber wie Facebook und Medium sind darauf spezialisiert die Hürden niedrig zu halten. Inhalte können schnell
veröffentlicht und die Reichweite durch Likes oder Claps erhöht werden. Viele Plattformen können darüber hinaus
kostenlos genutzt werden. Hier betrifft der Begriff kostenlos aber nur den finanziellen Aspekt.
Anbieter monetarisieren sich durch den Verkauf gesammelter Daten ihrer NutzerInnen. Zielgerichtete Werbung ist
eine weitere Einnahmequelle.
Dies bringt sämtliche Nachteile eines zentralistischen Systems mit. So schnell, wie man Reichweite gewonnen hat,
kann diese ebenso schnell eingeschränkt werden. Ein bekanntes Phänomen ist das
Shadow banning. Beim Shadow banning wird eine NutzerIn-Profil oder
deren Inhalt ganz oder teilweise blockiert. Oft ist nicht ersichtlich, dass Inhalte nur noch einem bestimmten oder
keinem Personenkreis zur Verfügung stehen.
Eine andere Art Informationen zurückzuhalten oder den Prozess der
Informationsbeschaffung möglichst zu verkomplizieren, entdeckt man bei Medium. In der Recherche zu diesem Artikel
tauchte der folgende Hinweis auf:
Nicht nur Inhalte können zensiert werden. Durch zentrale Anbieter wie PayPal werden Finanztransaktionen gestoppt oder
komplette Konten ohne größere Erklärungen eingefroren.
Unangenehm wird es für BenutzerInnen, wenn Dienstleister kritische Sicherheitslücken in ihren Systemen haben. Zu den
jüngeren Beispielen zählt hier der Dienst Zoom, der in den letzte Monaten für Schlagzeilen
sorgte. 12
Öffnet man heutzutage eine App oder besucht eine Webseite, ist es kaum noch offensichtlich, welche Dienstleister im Hintergrund
genutzt werden. Ein Produkt, welches oft mit Unabhängigkeit im Internet verknüpft wird, ist die Suchmaschine DuckDuckGo.
Die Suche wird aus ca. 400 verschiedenen Quellen gespeist, was auf den ersten Blick erfreulich wirkt.
Allerdings hat die Suchmaschine von Microsoft hierbei einen erheblichen Anteil an den Suchtreffern. Daher lohnt es sich
genauer hinzuschauen, welche Dienstleister ein Produkt einbindet. 3
Überhaupt hat Microsoft in den letzten Monaten und Jahren ein enormes Wachstum. Spannend ist sicherlich die Übernahme der
Quelltext Kollaborationsplattform Github und der kürzlich übernommenen Paketverwaltung npm, die im JavaScript-Ökosystem eine
enorme Rolle spielt. Hier sind also zwei beliebte und häufig genutzt Produkte, die von vielen EntwicklerInnen in der täglichen
Arbeit verwendet werden, von einem großen Anbieter. Sollte sich dieser entscheiden, Software-Pakete von Github oder npm zu
löschen, kann dies weitreichende Folgen für den Betrieb tausender Webseiten haben.
Ähnlich verhält es sich bei dem Betrieb von
Rechenzentren. In der Digitalisierungswelle von Unternehmen und Behörden ist der Begriff Cloud nicht mehr wegzudenken. Um
Mitarbeiter und Kosten zu sparen, fehlendes Know-how in der Administration auszugleichen, zieht es viele Unternehmen in die
Rechenzentren von Microsoft, Google oder Amazon.
Auch hier spielen alternative Anbieter eine untergeordnete Rolle. Wie sich das langfristig auf die Preise für die gemieteten
Dienstleistungen auswirkt, bleibt abzuwarten.
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Schaut man sich die 100 meist besuchten Webseiten an, wird ersichtlich, dass der Großteil durch wenige
Betreiber bestimmt wird:
Der erste Platz, und das mit großem Abstand, gehört mit Youtube zur Google LLC. In der Liste sind auch etliche andere
schwergewichtige Unternehmen, wie Microsoft, Facebook und Amazon zu finden. Immerhin liegt Wikipedia auf
den forderen Plätzen. Ingesamt lassen die Zahlen aber darauf schließen, dass wir auf dem besten Weg zu digitalen
Monokulturen sind.
Der Ausweg
Konkurrenz, oder besser gesagt, Alternativen beleben das Geschäft. Statt seine Artikel bei Medium und Co. zu publizieren,
könnte ein selbstbetriebener Blog die Lösung sein. Der Blog muss nicht sofort selbst gehosted sein. Meist gibt es bei den Anbietern sehr gute Tutorials
und mit vertretbarem Zeitaufwand kann man sich bald über den ersten Live-Gang freuen. Wer nicht bis in die Unendlichkeit skalieren muss, wird etliche kleinere Anbieter zu den großen Cloudprovidern finden.
Und mal Hand aufs Herz, selbst für viele Unternehmen würde das reichen.
Eine eigene Email-Adresse ist meistens bei einer Domain-Registrierung inklusive.
Auf den Komfort eines gemanagten Email-Dienstes muss auch nicht verzichtet werden. Auch dafür gibt es Alternativen zu Services wie Gmail. Diese sind nicht immer kostenfrei.
Es ist aber davon auszugehen, dass die Daten nicht weiterverkauft werden. Veranstaltungen und Öffnungszeiten von Geschäften sollten nicht nur auf Facebook- oder Meetup geteilt werden.
Für die Informationsbeschaffung sollte es immer eine alternative Quelle geben, die ohne eine Anmeldung für BenutzerInnen erreichbar ist.
Dies sind nur ein paar Beispiele, die dazu beitragen, das Internet wieder bunter und dezentraler zu gestalten. Es sind nicht immer die bequemsten Lösungen, sie bewahren uns aber vor digitalen Monokulturen.