Wir haben das Internet kaputtgemacht

Getippt auf einem Rechner eines US-Großkonzerns, der Seitenquelltext auf einer zentralen Plattform und am Ende ausgeliefert von Amazon Web Services (AWS). So oder ähnlich präsentiert sich das Internet in der heutigen Zeit. Monopolistisch, zentralisiert und nicht mehr autonom, bunt und kreativ.

Autorenbild

Als ich anfing mich für das Internet zu interessieren, war es meine erste Aufgabe, eine eigene Webpräsenz aufzubauen. Dazu gehörte der Kauf einer eigenen Domain. Anschließend wurde mit viel Schweiß und Tränen ein Server eingerichtet. Zum Schluss gestaltete man seine Startseite mit etwas Text und noch mehr gif-Dateien und publizierte das Meisterwerk. Leider wurde niemand auf die Seite aufmerksam. Brauchbare Suchmaschinen waren zu dieser Zeit noch Mangelware. Also schloss man sich mit anderen Webseiten-BetreiberInnen zusammen und verlinkte sich gegenseitig. Einige dieser Relikte sieht man heute noch auf Webseiten unter dem Begriff .

Sobald neue Inhalte erschienen, wollten LeserInnen automatisch und unaufdringlich informiert werden. Dazu wurde die genutzt. Diese versteckte sich dezent hinter einem Link und war nicht die erste Meldung, die einem auf einer Webseite begrüßte.

Das sympathische an den damaligen Blogs, sie wurden meist selbst betrieben und waren daher dezentral. Der Inhalt liebevoll und, ja, ganz ohne Werbung gestaltet. Der Nachteil, besonders für NeueinsteigerInnen, war die Hürde eine eigene Webseite zu betreiben nicht gerade gering. Es war zeitaufwendig Inhalte zu publizieren. Dies sind nur ein paar Gründe für den Erfolg von zentralistischen Plattformen à la Myspace, Twitter, Medium und Co..

Unterstütze unabhängige Berichterstattung



Wenn dir die Informationen auf Beyond Bitcoin gefallen, würde ich mich sehr über eine Spende freuen.


Die digitale Monokultur


Betreiber wie Facebook und Medium sind darauf spezialisiert die Hürden niedrig zu halten. Inhalte können schnell veröffentlicht und die Reichweite durch Likes oder Claps erhöht werden. Viele Plattformen können darüber hinaus kostenlos genutzt werden. Hier betrifft der Begriff kostenlos aber nur den finanziellen Aspekt. Anbieter monetarisieren sich durch den Verkauf ihrer NutzerInnen. ist eine weitere Einnahmequelle.

Dies bringt sämtliche Nachteile eines zentralistischen Systems mit. So schnell, wie man Reichweite gewonnen hat, kann diese ebenso schnell eingeschränkt werden. Ein bekanntes Phänomen ist das . Beim Shadow banning wird eine NutzerIn-Profil oder deren Inhalt ganz oder teilweise blockiert. Oft ist nicht ersichtlich, dass Inhalte nur noch einem bestimmten oder keinem Personenkreis zur Verfügung stehen.

Eine andere Art Informationen zurückzuhalten oder den Prozess der Informationsbeschaffung möglichst zu verkomplizieren, entdeckt man bei Medium. In der Recherche zu diesem Artikel tauchte der folgende Hinweis auf:

Meldung von Medium: You have two stories left this month. Sign up to get an extra one for free.
Medium Regestrierungs-Wall Meldung


Nicht nur Inhalte können zensiert werden. Durch zentrale Anbieter wie PayPal werden Finanztransaktionen gestoppt oder komplette Konten ohne größere Erklärungen eingefroren. Unangenehm wird es für BenutzerInnen, wenn Dienstleister kritische Sicherheitslücken in ihren Systemen haben. Zu den jüngeren Beispielen zählt hier der Dienst Zoom, der in den letzte Monaten für Schlagzeilen sorgte. 1 2

Öffnet man heut­zu­ta­ge eine App oder besucht eine Webseite, ist es kaum noch offensichtlich, welche Dienstleister im Hintergrund genutzt werden. Ein Produkt, welches oft mit Unabhängigkeit im Internet verknüpft wird, ist die Suchmaschine . Die Suche wird aus ca. 400 verschiedenen Quellen gespeist, was auf den ersten Blick erfreulich wirkt. Allerdings hat die Suchmaschine von Microsoft hierbei einen erheblichen Anteil an den Suchtreffern. Daher lohnt es sich genauer hinzuschauen, welche Dienstleister ein Produkt einbindet. 3

Überhaupt hat Microsoft in den letzten Monaten und Jahren ein enormes Wachstum. Spannend ist sicherlich die Übernahme der Quelltext Kollaborationsplattform Github und der kürzlich übernommenen Paketverwaltung npm, die im JavaScript-Ökosystem eine enorme Rolle spielt. Hier sind also zwei beliebte und häufig genutzt Produkte, die von vielen EntwicklerInnen in der täglichen Arbeit verwendet werden, von einem großen Anbieter. Sollte sich dieser entscheiden, Software-Pakete von Github oder npm zu löschen, kann dies weitreichende Folgen für den Betrieb tausender Webseiten haben.

Ähnlich verhält es sich bei dem Betrieb von Rechenzentren. In der Digitalisierungswelle von Unternehmen und Behörden ist der Begriff nicht mehr wegzudenken. Um Mitarbeiter und Kosten zu sparen, fehlendes Know-how in der Administration auszugleichen, zieht es viele Unternehmen in die Rechenzentren von Microsoft, Google oder Amazon. Auch hier spielen alternative Anbieter eine untergeordnete Rolle. Wie sich das langfristig auf die Preise für die gemieteten Dienstleistungen auswirkt, bleibt abzuwarten. 4

Schaut man sich die 100 meist besuchten Webseiten an, wird ersichtlich, dass der Großteil durch wenige Betreiber bestimmt wird:
# Domain monatliche Zugriffe
1 youtube.com 8,564,946,885
2 facebook.com 3,483,131,264
3 en.wikipedia.org 2,223,668,855
4 twitter.com 2,008,820,315
5 amazon.com 618,747,155
Auszug von (Stand: 22.07.2020)
Der erste Platz, und das mit großem Abstand, gehört mit Youtube zur Google LLC. In der Liste sind auch etliche andere schwergewichtige Unternehmen, wie Microsoft, Facebook und Amazon zu finden. Immerhin liegt Wikipedia auf den forderen Plätzen. Ingesamt lassen die Zahlen aber darauf schließen, dass wir auf dem besten Weg zu digitalen Monokulturen sind.

Der Ausweg


Konkurrenz, oder besser gesagt, Alternativen beleben das Geschäft. Statt seine Artikel bei Medium und Co. zu publizieren, könnte ein selbstbetriebener Blog die Lösung sein. Der Blog muss nicht sofort selbst gehosted sein. Meist gibt es bei den Anbietern sehr gute Tutorials und mit vertretbarem Zeitaufwand kann man sich bald über den ersten Live-Gang freuen. Wer nicht bis in die Unendlichkeit skalieren muss, wird etliche kleinere Anbieter zu den großen Cloudprovidern finden. Und mal Hand aufs Herz, selbst für viele Unternehmen würde das reichen.

Eine eigene Email-Adresse ist meistens bei einer Domain-Registrierung inklusive. Auf den Komfort eines gemanagten Email-Dienstes muss auch nicht verzichtet werden. Auch dafür gibt es Alternativen zu Services wie Gmail. Diese sind nicht immer kostenfrei. Es ist aber davon auszugehen, dass die Daten nicht weiterverkauft werden. Veranstaltungen und Öffnungszeiten von Geschäften sollten nicht nur auf Facebook- oder Meetup geteilt werden. Für die Informationsbeschaffung sollte es immer eine alternative Quelle geben, die ohne eine Anmeldung für BenutzerInnen erreichbar ist.

Dies sind nur ein paar Beispiele, die dazu beitragen, das Internet wieder bunter und dezentraler zu gestalten. Es sind nicht immer die bequemsten Lösungen, sie bewahren uns aber vor digitalen Monokulturen.
Quellen:

Der Text in diesem Artikel ist unter der Lizenz verfügbar. Die Grafiken unterliegen der Lizenz des jeweiligen Künstlers und müssen separat beachtet werden.

Das könnte dir auch gefallen